Wanderung von Stein am Rhein nach Hüttwilen

Volker Friebel

 

Das Tor aus Holz steht halb offen, wir treten aus dem Schatten der Gassen an den Rhein. Die Frische des eiligen Wassers, sein Duft. Die Ruhe des Bodensees liegt hinter ihm. Hier knattern Motorboote der Strömung entgegen.

Sommer. Hitze. Jugendzeit. Die Kraft eines Motors, über den sich bestimmen lässt. Die Kraft des Flusses ist viel größer, doch sie wird nie die unsere sein. Auch nicht am Stauwehr, wir luchsen ihr nur ein Winziges ab.

Zweige einer Trauerweide pendeln die Strömung aus.

Sonnenblinken im Rhein –
ein Spatz trippelt
zum Wanderer her.

 

Unser Weg geht erst gemächlich neben den Gleisen – und dann die Hügel hinauf. Ich singe ein Lied. Hinter einer Kuppe plötzlich der Bodensee – und ist das nicht die Kette der Alpen? Wir stehen und staunen.

Weiße Segel. Bunte Segel. Wolken am Horizont. Und eine Ruhe, die Ruhe der Ferne. Und eine Stille, die dem Wasser innewohnt, auch wenn es gurgelt und braust.

 

Unter einem mächtigen Walnussbaum starren uns drei Kühe an, schwarze Schatten gegen das blendende Himmelslicht. Sie stehen und starren, als würden sie etwas von uns erwarten. Von uns Menschen erwarten. Vom Schlachter wissen sie nichts.

 

Heißer Asphalt –
das Flirren
im Lerchenlied.

Der Altbauer mit seiner Heugabel grüßt mich am Hof. Er strahlt.

Am Silo flattert die Schweizerfahne im Wind, der vom See her weht und die Wanderer weiterbläst, den Kamm des Hügels hinauf, in den schattigen Wald.

 

Wir rasten auf der anderen Seite des Hügels. Eine Wiese mit Blick über die Weite, hinein in den Dunst. Alpenriesen sind zu erahnen, werden manchmal fast deutlich, verschwimmen dann wieder im Weiß.

Grillenzirpen.
Die Spiele des Winds
mit dem Gras.

 

Vor Hüttwilen am Wegrand ein Tisch und zwei Stühle, Blumen. Auf dem Krug daneben steht: „Vielen Dank für das Wasser“. „Geniesse die Aussicht“ ist ins Holz des Tisches geschnitzt, „… Nimm Platz … “ Einiges verschlingt das aufgeschossene Gras.

 

Im Singen ganz in der Welt sein und die Welt vergessen. Wie wichtig war es mir immer, nicht zu viel zu wissen. Wissen legt fest. Aber wir treiben. Wissen gibt Halt. Aber in der Haltlosigkeit zeigt sich das Leben am stärksten. Im Singen sinnloser Verse vergesse ich, was ich weiß.

Die Sonne scheint. Wir gehen zwischen Rebhängen, an denen die Trauben zu schwellen beginnen. Hinter der Biegung muss das Haus meines Bruders sein.

 

Foto: Grasende Pferde auf der Wanderung von Stein am Rhein nach Hüttwilen.

Foto: Alpenblick auf der Wanderung von Stein am Rhein nach Hüttwilen.

 

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