Kos 2: Asklepieion, Lord Byron

Volker Friebel

 

Zwei Ärzte

Asklepios ist schon in der Ilias erwähnt, die im 7. oder gar schon im 8. Jahrhundert vor Beginn unserer Zeitrechnung fixiert wurde. Einer seiner Söhne war bei der Belagerung Trojas dabei.

Asklepios soll ein Sohn des Zeus und einer Sterblichen gewesen sein und als Arzt in Thessalien gewirkt haben. Nach seinem Tod wurde er als Gott der Heilkunst verehrt. Um seinen Stab windet sich eine Schlange. Das heißt, Asklepios gehört zu den Erdgottheiten.

Seine Heilkünste und die seiner Nachfolger wurden auch außerhalb der Städte ausgeübt, in Tempelanlagen. So in der Kultstätte bei Epidauros auf der griechischen Halbinsel Peloponnes, dessen Bewohner auch in Kos siedelten und die wir vor einigen Jahren besuchten. So hier auf Kos, im Asklepieion, auf einem Hügel drei Kilometer landeinwärts und 100 Meter über dem Meer.

Hippokrates, auf den sich die westliche Medizin als Erfahrungswissenschaft beruft, wirkte also schon in einer langen Tradition. Er wurde um das Jahr 460 vor unserer Zeitrechnung auf Kos in eine Ärztefamilie geboren, die ihre Abstammung bis auf Asklepios zurückführt. Um die Platane im Hafen von Kos-Stadt, unter der Hippokrates gelehrt haben soll, gingen wir bei jedem unserer Besuche der Stadt. Um 420 vor unserer Zeitrechnung verließ Hippokrates Kos und reiste als Wanderarzt durch Griechenland und das griechische Kleinasien. Um 370 starb er in Thessalien.

Wanderung zum Asklepieion

Auf unserem Weg vom Meer zum Asklepieion im Inselinneren bellen immer wieder Hunde, hinter Stahlgittern. Vertrocknete Weintrauben. Olivenhaine. Granatäpfel. Wir kommen an einem Militärstützpunkt vorbei, Fotografieren verboten. Panzerhaubitzen, Mannschaftswagen, ein müder Soldat hält Wache.

Hinter Stacheldraht:
Ein Geschütz
zeigt zum Meer.

Silberdisteln am Straßenrand, aufsteigender Flaum, daneben trüb weggeworfene Flaschen.

Der Bach ist ausgetrocknet.

Ein Sperling, mit einem Korn im Schnabel, klammert in die Drahtmasche des Zauns, äugt mich an, fliegt auf, ist in die Weite verschwunden.

Gestern fing ich mir, als ich im Vorbeigehen mit einer Hand die Pflanzen am Pfad streifte, vier Dornen ein, das gab tiefe Wunden.

Kartoffeläcker. Das Singen einer Bewässerungsanlage. Brombeerhecken. Auf verdorrten Beeren Straßenstaub.

 

Im Asklepieion stehen wir auf der obersten Terrasse und lesen: Angelegt im 3. vorchristlichen Jahrhundert. Der weite Blick über die Wälder bis zum Meer. Zypressen, Kiefern, von der Zeit durcheinander geworfene Steine. Ein Schmetterling flattert leicht über alles hinweg. Er wird sterben. Die Steine werden zerfallen zu Sand.

Menschen gehen gemächlich umher. Den Kindern sagen antike Steine nicht viel. Auch wir verstehen sie noch immer nicht ganz.

Man kann in einen Wald hinein und rasten, im Schatten von Nadelbäumen. Elisabeth hat sich auf einen Fels gesetzt und schaut zum Meer.

Eine in einzelnen Teilen liegende Säule.

Das Licht. Es ist jetzt, zur Mittagszeit, angenehm kühl.

Der Boden ist weich, die vielen abgeworfenen Nadeln der Bäume lassen den Schritt federn.

Welch heitere Stimmung.

So stelle ich mir ein Heiligtum vor: Hellgrüne Bäume und behauener Stein, Stufen zum Gehen, zum Sitzen. Und der Blick auf das Meer oder tiefer hinein in den Hain auf eine Quelle.

Es ist die Freundlichkeit des Lichts, eine Heiterkeit, schwer zu erklären. Sie kommt sicher auch daher, dass der Hochsommer vorbei ist. Und dass der Wind sich gelegt hat, bis auf eine leichte Brise vom Meer. Und dass Nachsaison ist, dass keine großen Gruppen mehr unterwegs sind, nur einzelne Besucher, Paare, Familien, die sich alle nur langsam bewegen.

 

Dass das Heilige, die Schönheit und die Gesundheit beisammen sind, womöglich eines sind – unsere Ärzte und Krankenhäuser haben sich weit von einer solchen Auffassung entfernt. Mit der Medizin damals möchte ich unsere nicht tauschen – doch das Gefühl, dass wir sehr viel gewonnen, aber auch einiges verloren haben, ist da.

Könnten wir lernen? Ich fürchte: nein. Wir lernen leider von anderen nicht, schon gar nicht von der Vergangenheit. So gehen wir in unsere Kliniken und lassen die Tempel den Eidechsen.

 

Asklepieion.
Zwischen Quadern die Quelle versiegt.
Blumen blühen.

Im Heiligtum
eine Zikade im Staub
und im Licht.

 

Lord Byron

Der Name unseres Apartmenthauses erinnert an ihn, auch sonst treffen wir hier und da auf seinen Namen. So schauen wir nach: Wer war Lord Byron?

Lord Byron ist eigentlich eine Institution, es ist ein erblicher britischer Adelstitel. Gemeint ist meist einer von bislang dreizehn Trägern dieses Namens, nämlich George Gordon Byron (1788-1824), der 6. Baron Byron.

Der war ein bedeutender Dichter der Romantik, sah gut aus, konnte aber nicht tanzen, denn er hatte einen Klumpfuß. Und er war als Dandy bekannt. Bisexuell orientiert, hatte er vermutlich zwei Kinder. Auch ohne dass seine Verhältnisse zu Männern offen zutage traten, galt Byron durch seinen freizügigen Lebenswandel als Mensch von „zweifelhafter Moral“. Problem: In England stand damals auf homosexuelle Beziehungen die Todesstrafe. Ein Grund, sich meist außerhalb der Heimat aufzuhalten.

Freiheitsbewegungen hatten es ihm angetan. Mit der italienischen hat er geliebäugelt – und trat schließlich der griechischen bei.

Die griechischen Lande waren damals Bestandteil des Osmanischen Reichs, eines Vielvölkerstaats. Eine griechische Bewegung wollte einen Nationalstaat errichten, ihre Führer waren allerdings untereinander verfeindet. Um das Jahr 1800 war die Idee des Nationalismus und des Nationalstaats bei weitem nicht so unselig selbstverständlich wie heute, auch der Rückhalt in der Bevölkerung blieb deshalb durchwachsen. Immerhin war zu Byrons Zeit die Peloponnes weitgehend unabhängig.

Byron gab ein Millionenvermögen für die griechische Freiheitsbewegung aus – und adoptierte doch auch ein muslimisches Mädchen, dessen Eltern in eben diesem Freiheitskampf ermordet worden waren. Er bezahlte eine kleine Armee – und starb an einer Erkrankung, bevor diese Armee in See stechen konnte. Genauer: Er starb durch die Behandlung dieser Erkrankung.

Griechenland sollte sich erst Jahre später aus dem Osmanischen Reich lösen können, weniger aus eigener Kraft, denn als Folge europäischer Großmachtpolitik. Zahlreiche Griechen und Türken blieben auf der jeweils falschen Seite der neuen Grenze zurück. Das führte zu weiteren militärischen Auseinandersetzungen und im Jahr 1923 schließlich zu einem sogenannten „Bevölkerungsaustausch“ zwischen der Türkei, die aus dem Osmanischen Reich hervorgegangen war, und Griechenland, mit großem Leid auf beiden Seiten und entsprechendem gegenseitigem Hass. Auch heute noch hat Griechenland auf seine Bevölkerung bezogen eine der größten Armeen der Welt. Und so auch die Türkei. Die Bunker am Strand sind Überbleibsel dieses Konflikts, zernagt vom Meer. Die Militärstützpunkte weiter landein werden instand gehalten.

Byron jedenfalls gilt in Griechenland als Held. Ich denke an das adoptierte muslimische Mädchen und murmle: Meinetwegen.

 

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